Noch ist eine ordentliche Portion Phantasie erforderlich, um sich das Bayer Leverkusen dieser Saison in der Nähe der Gipfel dieses unwegsamen Gebirges namens Champions League vorzustellen. Beim knappen 1:0 über die AC Mailand am Dienstagabend wirkte die Mannschaft abermals ein wenig fremd auf viele Beobachter, deren Erinnerungen an die beeindruckende Dominanz der vergangenen Saison noch präsent sind. Wie die FAZ berichtet, hatte die „Werkself“ wie schon beim 1:1 in München am vorigen Samstag zum zweiten Mal nacheinander weniger den Ball als der Gegner, erschien manchmal sogar passiv.
Dennoch zeigte sich Trainer Xabi Alonso zufrieden: „Wir hatten den richtigen Respekt. Wir haben seriös gespielt. Wir haben verstanden, was zu tun ist.“ Der Spanier resümierte: „Wir hatten das Champions League-Mindset.“
Die Champions League ist für den deutschen Meister und seinen Trainer nicht nur eine sportliche Herausforderung, sondern ein neues Lernumfeld für den Prozess der Selbstoptimierung. Auf nationaler Ebene wird es nicht möglich sein, noch Größeres zu erreichen als in der vorigen Spielzeit. Deshalb will Alonso die speziellen Erfordernisse der Champions League und die Magie dieses Wettbewerbs nutzen, um seinem Team einen facettenreicheren Fußball zu vermitteln, so die FAZ.
In den fünf gespielten Bundesligapartien haben die Rheinländer bislang zwei Tore im Durchschnitt zugelassen, in der Champions League steht nach einem 4:0 in Rotterdam und diesem Sieg über Mailand bislang die Null. Es sei ja bekannt, dass Bayer 04 „mit dem Ball gut“ sei, sagte Granit Xhaka. „Aber man sieht: Wenn wir die Mentalität auf den Platz hinlegen, dann ist es brutal schwer, Tore gegen uns zu schießen. Das brauchen wir auf diesem Niveau, wo kleine Details entscheiden.“
Den Treffer des Abends hatte Victor Boniface als Krönung eines exzellenten Spielzuges kurz nach der Pause geschossen (51.), und es gab Chancen für weitere Treffer, vor allen Dingen in der ersten Halbzeit.
Das große Herbstthema bei Bayer Leverkusen ist die Arbeit gegen den Ball. „Wir haben zum richtigen Zeitpunkt die defensive Widerstandskraft gezeigt“, sagte Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes, nachdem die Rheinländer sich nach einer Stunde immer weiter zurückgezogen hatten. Die Leverkusener, von denen man dachte, eine weitere Steigerung sei kaum möglich, entwickeln sich. Und es ist in diesem Fall nicht nur die Mannschaft, die hier von einem Fußball-Lehrer mit einer neuen und vielleicht für manchen auch etwas anstrengenden Lektion konfrontiert wird. Es ist der Lehrer selbst, der lernen will, analysiert die FAZ.
Unter manch anderem Trainer hätte die Mannschaft in so einem Heimspiel nach einer recht dominanten Stunde und dem sauber herausgearbeiteten Führungstor konsequenter auf einen zweiten Treffer gespielt. Bayer Leverkusen jedoch änderte den Stil.
Der Abwehrchef Jonathan Tah wurde zur dominierenden Figur, als handle es sich nicht nur um ein Gruppenspiel, in dem es um Punkte geht, sondern mehr noch um eine Versuchsanordnung vor den eigentlichen Prüfungen. „Ein Ergebnis zu verteidigen, das brauchen wir, weil wir einen langen Weg in der Champions League haben wollen“, sagte Alonso. „Diese Erfahrung zu machen und dieses Gefühl zu bekommen, das kann wichtig für die Zukunft sein.“
Zum Lernstoff gehörte ein kleiner Schwenk in die Historie, in der Alonso als Spieler zwei Champions League-Endspiele gegen Milan bestritt, darunter der legendäre Sieg mit dem FC Liverpool 2005, als die Engländer einen 0:3-Halbzeitrückstand aufholten. „Die AC Mailand hat sieben Champions League-Titel, wir haben keinen. Es gibt eine Geschichte, die man respektieren muss“, sagte Alonso, ehe er Grundwissen zum italienischen Fußball vortrug: In Deutschland werde gepresst wie verrückt, wenn es in der Bundesliga aber gelinge, dem Druck zu entkommen, entstünden Räume, erklärte er. Milan und andere italienische Mannschaften hingegen „warten auf dich und wollen den Raum kontrollieren. Das ist ein vollkommen anderes Spiel, in dem wir sehr intelligent sein mussten.“
Deshalb war dieses Duell auch nicht vergleichbar mit dem 1:1 in München vom vergangenen Wochenende, als ebenfalls die Verteidigungsarbeit im Mittelpunkt stand. Aber eben auf eine ganz andere Art und Weise. „Man sieht, dass die Mannschaft erfahrener wird, dass sie ruhiger wird“, sagte Xhaka, und dabei spielt auch ein Neuzugang eine immer wichtigere Rolle: Aleix Garcia, der neben Xhaka im Mittelfeldzentrum aufgestellt worden war. Garcia spielte disziplinierter als zuletzt, traf viele gute Entscheidungen in kleinen und in großen Räumen. Zum ersten Mal war deutlich zu sehen, wie wertvoll dieser Mittelfeldspieler werden kann. „Er kann fast ohne Ansatz Fünfzigmeterpässe schlagen“, sagte Alonso.
Dessen Mannschaft hat in den Partien in München und nun gegen Milan eine deutliche Botschaft gesendet: Bayer Leverkusen versucht nicht, die Geschichte der vergangenen Saison weiter zu erzählen, das Ensemble erweitert seinen Horizont. Und die im Vorjahr sehr seltenen Duelle mit den Giganten des Klubfußballs liefern die Energien, die dafür nötig sind.
Quelle: FAZ.NET
Bayer Leverkusen hat auch das zweite Spiel der Champions-League-Saison gewonnen und sich mit 1:0 (0:0) gegen die AC Mailand durchgesetzt. So einfach wie beim 4:0 vor zwei Wochen gegen Feyenoord Rotterdam machte es Milan dem deutschen Fußball-Meister aber nicht. Victor Boniface (51. Minute) traf nach der Pause zum 1:0. In der ersten Halbzeit war ein vermeintlicher Treffer des Stürmers wegen Abseits nicht gegeben worden. Das berichtet die dpa.
Leverkusen steht mit sechs Punkten nach zwei Spieltagen im neuen Liga-Format der Königsklasse in der Spitzengruppe. Der italienische Vizemeister kassierte nach der 1:3-Heimpleite gegen den FC Liverpool – einer der nächsten Leverkusener Gegner – dagegen bereits die zweite Niederlage.
Quelle: dpa