Anders als in Deutschland gibt es in Österreich einen Bierpapst. Gerade hat er ein neues Buch herausgegeben – über Biermythen. Es enthält Sprengstoff für Stammtische und Kneipenrunden, wie Uwe Ebbinghaus in der F.A.Z. berichtet. Den deutschen Literaturpapst kennt jeder, beim Bierpapst wird es schon schwieriger. Der im Jahr 2022 im Alter von 97 Jahren gestorbene Ludwig Narziß, der die deutsche Brauwissenschaft in Weihenstephan über Jahrzehnte prägte, galt als solcher, hat die Bezeichnung aber stets abgelehnt. Ähnlich zurückhaltend gibt sich der kleine Kreis der aktuellen Bierkoryphäen, keine von ihnen will so recht der deutsche Bierpapst sein. Liegt es am konkurrierenden kanonischen Reinheitsgebot?
In Österreich verhält es sich anders. Da kennt jeder den Bierpapst, es gibt kaum einen Brauer oder Wirt, der ihm noch nicht die Hand geschüttelt hätte. Die Rede ist von dem 1958 in Wien geborenen Conrad Seidl. Die Besonderheit in seinem Fall: Er akzeptiert den Titel ohne Scheu, hat sich ihn sogar nach eigener Aussage weltweit als Markenname schützen lassen.
Seit mehr als 35 Jahren beschäftigt sich Seidl, der bis vor wenigen Monaten als politischer Journalist, zuletzt beim Wiener „Standard“ tätig war, intensiv mit Bier. Er trauert den Zeiten hinterher, in denen man Politikern in der Kneipe noch die Zunge lockern konnte, und hat mehrere Bücher über sein Lieblingsgetränk geschrieben, die inzwischen zum Teil schon als historische Dokumente einer vergangenen Bierkultur gelten können, aber auch solche über „Die Marke Ich“.
Wer Conrad Seidl einmal in seinem Bierpapst-Ornat gesehen hat, vergisst ihn so schnell nicht. In der Öffentlichkeit tritt er meist mit einem breitkrempigen Hut und zuweilen einem kurzen Cape auf, die ihm den Anschein eines Papstes auf Reisen verleihen. Unpäpstlich sind die Fliegerbrille am Hut und die Lederhosen, die eher an einen Gebirgsschützen denken lassen, sowie die Weste mit tiefen Taschen, so tief, dass mindestens sechs Bücher hineinpassen. Denn in seinem Portfolio gibt es mindestens ein Werk, das vom Konzept her an die Gideon-Bibel erinnert: der jährlich neu aufgelegte „Bier Guide“ für Österreich, welcher sich durch Werbung trägt und nur noch unter die Leute gebracht werden will.
Flaniert Seidl etwa durch die Straßen der für ihren Individualitätssinn bekannten belgischen Biermetropolen, drehen sich selbst die Brüsseler nach ihm um. Im persönlichen Umgang ist Seidl, dem man aufgrund seines Äußeren eine gewisse Lautheit unterstellen würde, eher leise, zugewandt und geistreich.
Conrad Seidls neues Buch mit dem Titel „Biermythen“ ist eines seiner interessantesten. Es ist in mehr als fünfzig kurze Kapitel unterteilt, die eher locker verbreiteten Vorurteilen über das Bier zugeordnet sind. Verbunden sind sie durch einen langen, breiten und sehr kakanischen Erzählton, der von der beachtlichen Souveränität zeugt, mit der Seidl das Thema überblickt. Vom Ansatz her ist es ein Buch für Anfänger; die meiste Freude aber werden Fortgeschrittene an dem ausgebreiteten Wissen haben. Bekanntes wird in erfreulicher Tiefe präsentiert, komplizierte technische Zusammenhänge werden in zuweilen verblüffend einfache, stimmige Bilder gekleidet. Seidl ist immer quellennah, nur gelegentlich abschweifend. Leider fehlt es dem Buch, das einen alltagsgeschichtlichen Schwerpunkt hat, gänzlich an Abbildungen.
Im Detail ist es angenehm nerdig. Großartig das Kapitel über die Bierflasche, die im Lauf ihrer Geschichte in den seltensten Fällen demjenigen gehörte, der sie kaufte. Erstaunlich auch, wie viele Arten des Fassbiers und der Bierheiligen Seidl aufzuzählen weiß. Das Kapitel über die Geschichte des IPA (India Pale Ale) lässt aus dem von Mythen umrankten Modebierstil auf angenehme Weise die Luft heraus. Gleiches gilt für die Figur des vermeintlichen Bierkönigs „Gambrinus“.
Durchzogen ist das Buch von Versen übers Bier aus Liedern, Sprüchen und Gedichten, die viel Wahres, aber auch eine Menge Falsches enthalten. So nimmt die Abhandlung ihren Lauf von den ersten gezielten Gärvorgängen im Neolithikum bis zu den waghalsigsten Experimenten der Craft-Brauer unserer Tage, denen Seidl gern Besuche abstattet.
Viel verdankt das neue Buch Seidls Bier-Kolumne im „Standard“ und den Recherchen für seine Fernsehsendung „BeerTastic!“, die ihn etwa zum Hirsebier nach Kapstadt, zum Chicha nach Peru und zum Sahti nach Finnland führten. Das Reinheitsgebot nimmt Seidl, wie die meisten Bierkenner mit internationalem Horizont, bei alldem nicht so recht ernst. Seiner Selbstvermarktung verdankt Conrad Seidl, dass er sich ein halbes Leben lang intensiv mit seinem Lieblingsthema beschäftigen konnte. Der Leser profitiert davon.
Conrad Seidl: „Biermythen“. Verlag Der Apfel, Wien 2024. 240 S., br., 24,90 €.
Quelle: F.A.Z.
In seinem neuesten Buch „Biermythen“ nimmt Conrad Seidl, Österreichs selbsternannter Bierpapst, weit verbreitete Biermythen unter die Lupe. Wie der Bierberater MüGro schreibt, ist das Buch eine „flüssig geschriebene Reise durch die Biergeschichte, gewürzt mit einer Unzahl von Anekdoten, gestopft voll mit Fakten und Geschichten.“ Seidl räumt mit Mythen auf, ohne dabei belehrend zu wirken. Das Buch ist sowohl für Bierliebhaber als auch für Kenner geeignet, die ihr Wissen erweitern möchten. Einziges Manko: Es fehlen Quellenangaben.
„Biermythen“ von Conrad Seidl ist im Verlag Der Apfel erschienen und kostet 24,90 Euro.
Das Buch wird auch auf Seidls Website vorgestellt, wo er sich und seine Arbeit vorstellt. Dort heißt es: „In my day-to-day job I have been writing on politics for more than 35 years – and for about as long I have been writing about beer. Trust me: the latter is more fun.“ Neben Büchern bietet Seidl auch Bierseminare, -verkostungen und -Dinner an.
Am 7. Juni 2024 fand in der Mostschenke zum Hoangarten in Attersee, Österreich, eine Buchvorstellung statt, bei der Conrad Seidl sein Buch „Biermythen“ vorstellte. Wie auf der Facebook-Seite der Veranstaltung zu lesen ist, stellte bei dieser Gelegenheit auch Martin Seidl sein Buch „111 Biere die man in Österreich getrunken haben soll“ vor.
„Biermythen“ wird auch auf der Website www.beertasting.com vorgestellt. Dort heißt es: „240 Seiten geballtes Wissen, hingeschrieben in leichtfüßig erzählendem Ton. Man folgt beim Lesen gebannt den Worten Seidls, blättert Seite um Seite um und wundert sich, wie die Zeit verrinnt.“