Ankunft im Westen: Das Videospiel „Black Myth: Wukong“ adaptiert einen der großen chinesischen Romane und wirft den westlichen Spieler in eine große unverstandene Welt. Der chinesische Titel „Black Myth: Wukong“ macht für Millionen von Menschen einen klassischen Stoff in der technisch fortschrittlichsten Kulturform erfahrbar: einem Videospiel. Er ist eine zeitgemäße Adaption der Reise nach Westen, eines der großen chinesischen Romane. Als Spieler steuert man eine an den zentralen Protagonisten der Vorlage angelegte Figur: den Affenkönig Wukong.
Nach der Veröffentlichung Ende August war das Spiel laut Steam, der dominanten digitalen Vertriebsplattform, der weltweit am häufigsten verkaufte und am meisten gespielte Titel. Auch die Kritik fiel vielerorts positiv aus. Damit ist der Titel nicht nur ein Ereignis in der Welt der Videospiele, sondern auch ein bisher seltenes Beispiel für einen kulturellen Erfolg Chinas im Westen.
Dieser Erfolg ist wichtig. Videospiele sind inzwischen die ökonomisch größte Branche innerhalb der Kulturindustrie. Und sie erobern sich zunehmend mehr kulturelle Bedeutung. Anstatt sich nur bei Büchern und Filmen zu bedienen, werden sie selbst zum Gegenstand derselben: in Romanen wie Tonio Schachingers mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnetem „Echtzeitalter“ oder Gabrielle Zevins „Tomorrow, and Tomorrow, and Tomorrow“; in Verfilmungen wie „The Last Of Us“ bei HBO oder den „Cyberpunk 2077“- und „The Witcher“-Adaptionen auf Netflix.
Spiele sind dabei immer auch Mittler nationaler Kultur. „Red Dead Redemption II“ ist ein Western, und auch die „Grand Theft Auto“-Serie ist unverkennbar amerikanisch. Japans Platz im kulturellen Bewusstsein des Westens verdankt sich immer weniger Hokusais Fuji als vielmehr Videospielen – die dem Export einst viele Kompromisse machen mussten: Nintendos Mario ist ein Italiener, Peach und Zelda sind blonde Prinzessinnen. Jüngere Spiele wie Fromsoftwares „Sekiro“ oder Team Ninjas „Rise of the Ronin“ transportieren japanische Mythologie oder Geschichte in einer unverkennbaren Ästhetik. Auch wenn es bei der Vermittlung von Letzterer wachsam zu bleiben gilt: In Japan lässt man gern manches Kapitel unter den Tisch fallen.
China wiederum ist mit den Vereinigten Staaten der wichtigste Markt für Videospiele, produziert aber vor allem Handyspiele, welche ökonomisch interessant, kulturell aber ohne Strahlkraft sind. Black Myth: Wukong, entwickelt von Game Science aus Shenzhen, ist nun das erste sogenannte AAA-Spiel – ein mit höchsten Ansprüchen und Budgets produziertes Videospiel – eines chinesischen Unternehmens überhaupt. In seinem Erfolg kommen zwei Entwicklungen zusammen: der Bedeutungsgewinn des Spielens und Chinas.
In der Reise nach Westen eskortiert der an Begabung und Zauberkraft überreiche, aber höchst undisziplinierte und ungezogene Wukong einen Mönch von China nach Indien, um dort buddhistische Sutras aufzutun. Ihn begleiten drei Gefährten: Ein lüsternes anthropomorphes Schwein, ein geläuterter Menschenfresser und ein Schimmel von Drachengeblüt. Die Reise ist zugleich eine innere: Wukongs Weg zur Erlösung.
Nachdem er im Himmel des Jadekaisers Unruhe gestiftet hatte, bändigte ihn der Buddha und machte ihn nach 500 Jahren Buße zum Begleiter des Mönchs. Die Spielwelt, viele Charaktere und ihre Ausstattung, wie Wukongs Kampfstab und Verwandlungskünste, sind der Vorlage entnommen. Die Handlung des Spieles setzt nach dem Ende des Romans an, beginnt aber, wie dessen Prolog endet: Die Truppen des Jadekaisers stellen den schon wieder aufständischen, weil des Himmels erneut überdrüssigen Wukong. Der Affe fällt, und ein anderer tritt, gesteuert durch den Spieler, eine neue Reise an: mit dem Ziel, der Alte zu werden.
Im Spiel gilt es, Relikte des alten Wukongs zu finden und dadurch – und durch die dafür nötigen Heldentaten – dieser zu werden. So wandelt sich die Figur des Spieles zunehmend in jene des Buches. Ein Spieler ist kein Leser und kein Zuschauer. Er handelt und ist durch seine Handlungen in der Spielwelt präsent. Die Art des In-der-Welt-Seins entscheidet bei Videospielen über das Genre. „Black Myth: Wukong“ ist ein Action-Rollenspiel und orientiert sich erkennbar an denen des japanischen Studios Fromsoftware, das von „Demon’s Souls“ bis „Elden Ring“ optisch und mechanisch anspruchsvolle Spiele produziert hat, deren Hintergrundgeschichte jedoch im Gegensatz zu „Wukong“ nur andeutungsweise erzählt wird. Es sind brutal schwierige Spiele in düsteren Welten, in die der Spieler geworfen, nicht eingeführt wird. Sie stellen höchste Ansprüche an die Hand-Augen-Koordination und Leidensfähigkeit der Spieler, bei denen selbst die Besten viele Tode sterben.
Auch in „Black Myth: Wukong“ werden harte Kämpfe mit Charakterentwicklung kombiniert. Der vom Spieler in der dritten Person gesteuerte Wukong gewinnt im Verlauf von etwa 50 Stunden Spielzeit neue, bessere Ausrüstung, wird durch Erfahrung stärker und erlernt neue Fähigkeiten. Viele entsprechen dem literarischen Vorbild: etwa die Verwandlungsfähigkeit Wukongs, der sich vervielfältigen und die Gestalt besiegter Gegner annehmen kann. Während normale Gegner nur in großer Zahl Probleme machen, ist das Spiel genretypisch um herausfordernde Bosskämpfe strukturiert.
Das Gegnerdesign ist detailreich und bedient sich ständig beim Roman. Jene Arme Scholaren, die im Internet Figuren des Romans recherchieren, werden die nächsten Jahre vermutlich hauptsächlich Youtube-Sequenzen finden, die zeigen, wie man den von Game Science als Boss verwendeten Drachen oder Bären besiegt. Grafik und Leveldesign sind als Augenschmaus angelegt, die Spielwelt groß und abwechslungsreich.
Die Anlage des Spieles wiederholt das Thema der Reise als inneres Erlebnis. Und doch merkt man davon beim Kämpfen eher wenig. Das Spielerlebnis vergegenwärtigt Abenteuer und Figuren des Romans, weniger dessen Botschaft: Die Reise nach Westen handelt jenseits der vielen Kämpfe und Abenteuer auch vom Weg des Affen zur Erlösung durch die Disziplinierung seiner Begabung im Dienst am Anderen. Von dieser inneren Reise – wie vom Humor der Dialoge – ist beim Spielen wenig geblieben. Andererseits ist auch die Reise nach Westen vor allem ein großes Abenteuer, dessen frommes Ende bloß Beigabe ist. Die Kämpfe des Spieles sind auch im Roman prominent in Szene gesetzt.
Das Spiel präsentiert nach jedem erfolgreich abgeschlossenen Kapitel eine bezaubernd schöne Bildrolle im klassisch chinesischen Stil, auf welcher Ereignisse des Kapitels dargestellt sind, sowie einen animierten Film zu angetroffenen Charakteren. Diese Elemente tragen zur kulturellen Tiefe des Spiels bei und bieten den Spielern einen Einblick in die reiche Geschichte und Mythologie, die hinter der Handlung steht.
„Black Myth: Wukong“ ist nicht nur ein bedeutender Schritt für die chinesische Spieleindustrie, sondern auch ein faszinierendes Beispiel dafür, wie traditionelle Geschichten in moderne Medien umgesetzt werden können. Es verbindet die Herausforderungen und Freuden des Gamings mit der tiefgründigen Erzählung eines der größten literarischen Werke Chinas. Die Kombination aus anspruchsvollem Gameplay, beeindruckender Grafik und kultureller Relevanz macht es zu einem bemerkenswerten Titel, der sowohl Spieler als auch Literaturfans ansprechen dürfte.
Quellen: FAZ.NET