Wenn man die Musik von David Gilmour hört, könnte man meinen, die elektrische Gitarre sei eine Axt für das gefrorene Meer in uns. Keiner kann mit den Klängen einer Stratocaster, einer Les Paul, wahrscheinlich aber auch mit einem besaiteten Besenstiel so an die Emotionen rühren wie er. Ja, er ist ein Virtuose, aber keiner von denen, die sich mit demonstrativer Fingerfertigkeit in jene Nische spielen, wo sich nur noch die Kenner, Könner und Kollegen untereinander verständigen. Seine Soli auf den besten Alben von Pink Floyd sind Weltkulturerbe. So beschreibt Wolfgang Schneider in der F.A.Z. am 29.09.2024 den Ausnahmekünstler David Gilmour.
Lang ist’s her, dass Gilmour mit Pink Floyd die Bühnen der Welt eroberte; inzwischen ist er ein vielfacher Großvater von achtundsiebzig Jahren. Und nun die Überraschung: Er hat ein starkes neues Album vorgelegt, das deutlich frischer und in sich schlüssiger klingt als sein letztes Werk „Rattle That Lock“ von 2015.
„Luck and Strange“ – Glück und Seltsamkeiten. Dieser Titel ist Programm. Denn Gilmour braucht sphärische Hintergründe, um die akustischen Kathedralen seiner Soli zu errichten. Seine Lieder sind seit jeher meist elegisch und manchmal langsam bis zum Schleppenden. Zum gewohnten Schwermut-Ton kommt auf „Luck and Strange“ in einigen Stücken aber auch ein fester Biss, etwa beim wuchtigen R&B-Song „Dark and Velvet Nights“. Die Produktion ist von manchen akustischen Altlasten befreit und wirkt trotz des reichlichen Einsatzes von Chor und Orchester nicht überladen.
Er wolle nicht mehr nach Pink Floyd klingen, hat Gilmour gesagt. Zum Glück gelingt ihm das auch diesmal nicht wirklich. Zu unverkennbar ist sein singender Gitarrenton. Während die Soli in der Rockmusik üblicherweise nach dem zweiten Refrain kommen, bilden sie bei Gilmour meist das Finale, eine oft mehrere Minuten lange Klimax, die das Lied auf eine andere Ebene hebt. Danach lässt sich nicht einfach zu einer weiteren Strophe oder zum Refrain zurückkehren. So ist es bei fast allen Stücken des neuen Albums.
Und Gilmours Stimme, ein weiteres Markenzeichen, klingt immer noch erstaunlich geschmeidig, während sein Erzrivale Roger Waters nur noch zu heiserem Sprechgesang fähig ist, wie dessen letztes Album „Dark Side of the Moon Redux“ zeigt – eine Art Hörbuchversion des Klassikers von 1973, die mit ihrem grantigen Gemurmel und der zurückhaltenden Instrumentierung das Original so entschlossen unterbietet, dass es fast schon wieder interessant ist. Ansonsten ist in Waters’ Wikipedia-Eintrag der Abschnitt über die politischen Kontroversen mittlerweile doppelt so lang wie der über die musikalischen Leistungen.
Waters stand bei Pink Floyd für die großen Konzepte, für griffige Songs wie „Money“ und die politische Wut, während der Melodiker Gilmour mit sich und der Gesellschaft eher im Reinen ist.
Im Hause Gilmour wird harmonisch zusammengearbeitet. Seine Frau, die Dichterin Polly Samson, schreibt die Songtexte, und die zweiundzwanzigjährige Tochter Romany übernimmt auf zwei Liedern des neuen Albums den Gesang, was für zusätzliche Abwechslung sorgt. Der Bonus-Track „Yes, I Have Ghosts“ ist eine anrührende, von Vater und Tochter gemeinsam gesungene Folk-Ballade. In „Between Two Points“, einem sehr atmosphärischen Cover der Montgolfier Brothers, übernimmt Romany die Lead Vocals. Als wollte er gegenüber ihrer jungen, fragilen Stimme nicht zu sehr auftrumpfen, hält Gilmour hier im Solo das Tonmaterial ganz schlicht; spielt sanft und fast stockend, allerdings mit einem Ton voller zurückgehaltener Kraft.
„It was a fine time to be born“, singt der Nachkriegsjunge des Jahrgangs 1946 im Titelsong: „Free milk for us all“. Mochte das britische Kolonialreich zusammenbrechen, es entwickelte sich parallel das Empire der Pop- und Rockmusik, und Gilmour war einer seiner Emissäre. Da gibt es im Rückblick wenig zu bedauern, und so herrscht in den Songtexten eine altersmilde Besonnenheit. Dass Gilmour sie nicht selbst schreibt, mag auch ein Wink an einen gewissen Bassisten sein, der sich mit politisch-sozialen Botschaften wichtig macht: „Roger, wir sind Musiker, das Texten überlassen wir anderen!“
Immer wieder hat sich Gilmour darum bemüht, dem 2008 verstorbenen Pink-Floyd-Keyboarder Rick Wright, der ein sehr zurückhaltender Charakter war, den gebührenden Teil der Anerkennung zukommen zu lassen. Das letzte Floyd-Album „Endless River“ hat er ihm gewidmet, und auf „Luck and Strange“ ist am Ende ein langer Jam mit Wright aus dem Jahr 2007 zu hören, der zur Grundlage des Titelstücks wurde. Womöglich sind auch solche schönen Gesten ganz nebenbei ein Signal an einen gewissen Kontrollfreak: „Roger, ich kann Freundschaft! An mir hat es nicht gelegen!“
Immer gibt es auf Gilmour-Alben ein Lied, das besonders tief in den Emotionen wühlt. Bei „Rattle That Lock“ war es der Anitikriegssong „In Any Tongue“, auf „Luck and Strange“ nun heißt die Pathos-Perle „Scattered“. Mit echolotartigen Keyboard-Klängen beschwört das siebenminütige Lied zunächst den Floyd-Klassiker „Echoes“, in der Mitte hat es einen verwirbelten Orchester-Part, der ein bisschen an „A Day in the Life“ von den Beatles erinnert, und es gipfelt naturgemäß in einem mehrstufigen Solo, erst wunderbar unangestrengt auf der akustischen Gitarre, bevor die Stratocaster abhebt in ihre Umlaufbahn. Überraschend meldet sich mit sanftem Ton danach doch noch einmal der Sänger mit ein paar Zeilen über die Vergänglichkeit: „Time is a tide that disobeys and it disobeys me. It never ends.“ Klingt so, als wären es die letzten Worte des Meisters. Indes hat der Alte verkündet, dass er nach der Tour zum Album, die diesmal nicht in Pompeji, sondern mit sechs Auftritten im römischen Circus Maximus beginnt, gleich wieder ins Londoner Hausboot-Studio zurückkehren will. Nur zu.
Quelle: F.A.Z. Artikel von Wolfgang Schneider vom 29.09.2024: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/pop/fern-von-pink-floyd-david-gilmours-luck-and-strange-110016258.html
Neun Jahre nach seinem letzten Soloalbum „Rattle That Lock“ erschien Soloalbum Nummer 5 am 6. September, dem 81. Geburtstag seines Pink Floyd-Kontrahenten Roger Waters. Das neue Album wurde von den Kritikern hoch gelobt und wird als eines seiner besten Arbeiten gefeiert. In einem Interview gab David Gilmour Auskunft über die Entstehung des Albums. So entstand das Titelstück „Luck and Strange“ aus einer Jamsession im Jahr 2006, an der auch Ex-Pink Floyd-Keyboarder Rick Wright beteiligt war.
Quelle: https://radio-rebell.de/david-gilmour-luck-and-strange-neues-album-neue-tournee/
Das Album „Luck and Strange“ ist nicht nur musikalisch hörenswert, sondern auch textlich interessant. David Gilmours Frau Polly Samson, die die meisten Texte schrieb, benannte das durchgängige Thema des Song-Zyklus so: „Es geht um Sterblichkeit, darum, wie du die Welt betrachtest, wenn du älter wirst.“
Quelle: https://www.pulse-and-spirit.com/david-gilmour/mojo-david-gilmours-luck-and-strange-album-brillant-und-bewegend/