Lange Zeit galt der Onlinehandel als der große Gewinner der Digitalisierung. Doch die goldenen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Während Amazon und asiatische Billigplattformen wie Temu, Shein und Aliexpress zulegen konnten, leidet das Geschäft im Internet. Woran liegt das?
Jahrelang hieß es: Die Zukunft gehört dem Onlinehandel. Angetrieben vom US-Giganten Amazon investierten zahlreiche Händler in Onlineshops und Onlinemarktplätze. Das Ergebnis: Zwischen 2009 und 2021 kletterte der Anteil des Onlinehandels von 3,7 auf einen Rekordanteil von 14,7 Prozent, wie die Zahlen des Handelsverbands Deutschland (HDE) zeigen. Jedes Jahr schließen Hunderte traditionelle Geschäfte. Für viele gilt der Onlinehandel als Totengräber klassischer Einzelhändler.
Doch die goldenen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Der Nettoumsatz unter den 1000 größten Onlineshops in Deutschland ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozent gesunken, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI hervorgeht. Netto heißt in diesem Fall unter anderem ohne Retouren und Mehrwertsteuer. Bleiben Preissteigerungen außen vor, fällt das Minus mit 4,1 Prozent noch deutlicher aus.
Für EHI-Fachmann Lars Hofacker zeigen die Zahlen vor allem, dass der Corona-Effekt nachlässt. Denn als die Kunden während der Lockdowns nicht mehr in die klassischen Geschäfte durften, erlebte der Onlinehandel einen enormen Zulauf. „Schöne Urlaubsreisen sind für viele Deutsche gerade wichtiger“, sagt Hofacker der F.A.Z. Auch die durchwachsene wirtschaftliche Lage in Deutschland drücke auf die Konsumlaune.
Was aus Sicht von Hofacker ebenso entscheidend ist: Wegen der gestiegenen Kosten in den vergangenen Jahren liegt der Fokus für viele Unternehmen stärker auf dem Gewinn und nicht nur auf dem Umsatzwachstum. Dass der Umsatz nicht mehr so stark steigt wie in früheren Zeiten, müsse also nicht zwangsläufig bedeuten, dass es den Onlinehändlern schlecht gehe.
Der Onlinehandelsfachmann Jochen Krisch sieht das ähnlich. Er beobachtet darüber hinaus, dass es vielen Unternehmen derzeit schlicht am Kapital fehle, um weiteres Wachstum zu finanzieren. Das trifft aber längst nicht auf alle Unternehmen zu. Die asiatischen Onlineplattformen Temu und Shein grenzen sich aus seiner Sicht vor allem durch hohe Werbeausgaben ab – und wachsen in einem Tempo, das viele deutsche Einzelhändler in Schnappatmung bringt: Unter den Onlineshops konnte der Modehändler Shein mit fast 31 Prozent das größte Umsatzwachstum im Vergleich zum Vorjahr vorweisen. In der Rangliste der Onlineshops landete das Unternehmen mit Sitz in Singapur auf Platz 18.
Die unangefochtene Nummer eins bleibt allerdings Amazon (plus 1,9 Prozent), gefolgt von Otto (minus 7,1 Prozent) und dem Modeshop Zalando (minus 3,8 Prozent). Auch die Supermarktkette Rewe konnte mit 17 Prozent stark zulegen. In dieser Rangliste verglich das EHI nur die Umsätze, die durch den Verkauf der eigenen Ware zustande kamen. Viele Onlineshops bringen aber nicht nur eigene Waren unter die Kunden, sondern sind auch ein Marktplatz, lassen also auch Händler gegen Provision auf ihrer Plattform Produkte verkaufen. Plattformen wie Temu sind hingegen reine Onlinemarktplätze.
Auch die Rangliste der Onlinemarktplätze führte Amazon an. Das hierbei verwendete Bruttowarenvolumen (GMV) bezieht sich auf die gesamten Verkäufe auf der jeweiligen Plattform mit Mehrwertsteuer. Hier konnte Amazon sogar um 10,9 Prozent zulegen. Ebay strauchelte (minus 6,2 Prozent), Otto hingegen konnte auf Platz drei um zwei Prozent zulegen. Während es Temu noch nicht unter die zehn größten Marktplätze schaffte, konnte sich Aliexpress auf Platz sieben über ein fulminantes Wachstum von 43 Prozent freuen.
„Die Goldgräberstimmung der vergangenen Jahre ist vorbei“, sagt Lars Hofacker vom EHI. Die großen Onlinehändler hätten den Markt unter sich aufgeteilt. Für kleine und mittlere Unternehmen werde es immer schwieriger, im Internet Fuß zu fassen. Hinzu kommt der zunehmende Wettbewerb aus Asien. Plattformen wie Temu und Aliexpress locken mit niedrigen Preisen und einer riesigen Auswahl.
Doch der Erfolg der asiatischen Plattformen hat auch seine Schattenseiten. So werden immer wieder Vorwürfe laut, die Unternehmen würden ihre Marktmacht ausnutzen, um Dumpingpreise durchzusetzen. Auch die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, in denen die Waren hergestellt werden, stehen in der Kritik.
Wie es mit dem Onlinehandel weitergeht, ist ungewiss. Klar ist aber: Die Zeiten des einfachen Wachstums sind vorbei. Die Unternehmen müssen sich auf einen härteren Wettbewerb einstellen. Um im Kampf um die Kunden zu bestehen, müssen sie vor allem eines bieten: ein attraktives Angebot zu fairen Preisen.
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