Ein Stück Erinnerungskultur in der Lübecker Altstadt: Vor dem Geburtshaus von Gertrud Meyer (1914-2002) wurde ein Stolperstein verlegt. Die langjährige Partnerin von Willy Brandt (1913-1992) engagierte sich in den 1930er Jahren gemeinsam mit dem späteren Bundeskanzler gegen den Nationalsozialismus. Wie die „Zeit“ berichtet, wurde der Stolperstein am Nachmittag vor Meyers Geburtshaus in der Lübecker Altstadt verlegt. Die Initiative für Stolpersteine in Lübeck hatte die Verlegung initiiert.
Gertrud Meyer, die zehntes Kind einer Lübecker Arbeiterfamilie war, lernte Willy Brandt in jungen Jahren kennen und lieben. Ab 1931 waren die beiden acht Jahre lang ein Paar. Gemeinsam engagierten sie sich in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) aktiv gegen das NS-Regime. Im Mai 1933 wurde die damals 19-jährige Meyer in Lübeck beim Verteilen antifaschistischer Flugblätter festgenommen und anschließend für fünf Wochen inhaftiert. Im Juli 1933 folgte sie Brandt ins Exil nach Norwegen, wo sie maßgeblich am Aufbau des Stützpunkts der SAPD in Oslo beteiligt war.
Die gemeinsame Wohnung des Paares in Oslo entwickelte sich zu einem wichtigen Anlaufpunkt für aus Deutschland geflohene Parteifreunde. Wie Brandt engagierte sich Meyer auch in der AUF, der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei DNA. In Oslo lebten Willy und Gertrud zusammen, ohne verheiratet zu sein. Um die norwegische Staatsbürgerschaft zu erlangen, ging Meyer im Dezember 1936 eine Scheinehe mit dem Studenten Gunnar Gaasland ein.
Gertrud Meyer zeichnete sich durch große Hilfsbereitschaft und Mut aus. In den 1930er Jahren reiste sie mehrmals nach Deutschland, um mit eingeschmuggeltem Material Widerstandsaktionen der SAPD im „Dritten Reich“ zu unterstützen. Bis zur Spaltung der Partei im Jahr 1938 spielte sie eine führende Rolle in der Osloer SAPD-Gruppe. Auch beruflich fand Meyer in Norwegen schnell Fuß und trug damit wesentlich zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei. Nach Tätigkeiten als Haushaltshilfe und Sekretärin wurde sie Assistentin des österreichischen Psychoanalytikers Wilhelm Reich, mit dem sie kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 nach New York übersiedelte.
Von Amerika aus bemühte sich Gertrud Meyer vergeblich, für den 1940 nach Schweden geflüchteten Willy Brandt sowie für weitere SAPD-Genossen Einreisevisa in die USA zu bekommen. Noch einige Zeit glaubte sie an eine gemeinsame Zukunft mit Brandt in Amerika. Erst 1942 erfuhr sie durch Dritte von seiner Beziehung und Heirat mit Carlota Thorkildsen und der Geburt seiner Tochter Ninja. Tief enttäuscht brach Meyer den Kontakt zu Brandt ab.
Nach Kriegsende 1945 lebte die Korrespondenz zwischen den beiden noch einmal auf. Nach seinem Bruch mit Carlota hoffte Gertrud auf eine Wiederaufnahme der Beziehung, ohne zu wissen, dass Brandt bereits mit Rut Bergaust liiert war. Auch politisch trennten Gertrud Meyer und Willy Brandt inzwischen Welten. Sie hielt ihn zwar weiterhin für einen außergewöhnlichen Politiker, kritisierte aber seinen Wiedereintritt in die SPD 1944 scharf und warf ihm Verrat an den Idealen der SAPD vor. 1946 kehrte Meyer nach Norwegen zurück und heiratete ein Jahr später einen Norweger. Ab 1955 lebte sie dauerhaft in Oslo, trat aber politisch kaum noch in Erscheinung.
Zu einem persönlichen Wiedersehen mit Willy Brandt kam es nicht mehr. Als dieser im Dezember 1971 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo alte Weggefährten und Freunde zu einem Abendessen einlud, stand seine einstige Lebenspartnerin nicht auf der Gästeliste. In einem Brief, den sie ihm wenige Tage später schrieb, machte Gertrud Meyer aus ihrer Verbitterung über „diese vollkommene Ignorierung“ keinen Hehl: „Ich muss offen gestehen, dass ich eine Einladung erwartet hätte, obwohl ich aus Taktgefühl ferngeblieben wäre, aber nur die Geste hätte mir eine ungeheure Freude bereitet und ich hätte es als eine persönliche Wertschätzung unserer vergangenen gemeinsamen Arbeit aufgefasst.“ Eine Erklärung erhielt sie nicht. Wenige Monate vor Brandts Tod 1992 tauschten beide noch einmal schriftlich Grüße aus.
Mit der Verlegung des Stolpersteins wird nun in Lübeck an das Leben und den Widerstandswillen von Gertrud Meyer erinnert. Der Künstler Gunter Demnig erinnert seit 1992 mit seinen Stolpersteinen an die Opfer der NS-Zeit. Die Gedenktafeln aus Messing werden vor dem letzten selbstgewählten Wohnort der Opfer ins Trottoir eingelassen. Mittlerweile gibt es Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas.
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