Der Noch-Landesvorsitzende der Freien Wähler Rheinland-Pfalz, Stephan Wefelscheid, begründet seinen angekündigten Abschied mit einer für ihn problematischen inhaltlichen Neuausrichtung der Partei. Zu einem ähnlichen Schluss kommen zwei weitere Vorstandskollegen, die wie Wefelscheid zum Jahresende ihr Amt niederlegen werden. Dies berichtet die Zeit am 2. Oktober 2024.
«Sie erleben gerade eine Standortbestimmung», erklärte Wefelscheid in Mainz vier Tage nach einem sehr kontrovers verlaufenen Landesparteitag. Vor allem seit dem vergangenen Jahr nehme er wahr, dass die Partei eine Metamorphose durchlaufe.
Einen Schlüsselmoment sieht Wefelscheid in Äußerungen von Bundeschef Hubert Aiwanger bei einer Kundgebung im bayerischen Erding im vergangenen Jahr. Aiwanger sagte damals bei der Demonstration gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung, eine schweigende, große Mehrheit müsse die Demokratie wieder zurückholen. Vertreter anderer Parteien kritisierten ihn daraufhin scharf und warfen ihm Populismus sowie eine Wortwahl im Stile der AfD vor.
Nachdem Wefelscheid am Dienstag seinen Rückzug vom Vorsitz der Freien Wähler Rheinland-Pfalz zum Jahresende ankündigte, geben auch Vize Herbert Drumm und Landesschatzmeister Marco Degen ihre Vorstandsämter auf. Drumm war bis vor kurzem wie Wefelscheid Teil der Fraktion der Freien Wähler im Landtag in Mainz. Am Montag verkündete er seinen sofortigen Rückzug. Da zum 6. Oktober mit Bernhard Alscher ein weiteres Mitglied aus der Fraktion ausscheiden wird, verliert diese ihren Fraktionsstatus. Laut Geschäftsordnung des Landtages muss eine Fraktion mindestens fünf Mitglieder haben.
Die ursprünglich sechs Mitglieder werden somit zu fraktionslosen Abgeordneten mit weniger politischen Mitwirkungsrechten. Da mit dem Verlust des Fraktionsstatus auch Geldleistungen des Landtags wegfallen, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die derzeit zehn Fraktionsmitarbeiter. Die Freien Wähler hatten mit 5,4 Prozent der Stimmen bei der vergangenen Wahl im Jahr 2021 erstmals den Einzug in den Landtag in Mainz geschafft.
Wefelscheid, der seit zehn Jahren Landesvorsitzender ist, beschrieb den Dienstag mit der Ankündigung seines Abgangs als einen sehr schwierigen Tag für ihn. Er habe eine lange Zeit in der außerparlamentarischen Opposition miterlebt, unter seiner Führung seien quasi aus dem Nichts Parteistrukturen aufgebaut worden. Nach dem Parteitag in Kordel habe er nichts überstürzen wollen, doch auch mit etwas Abstand sei für ihn klar, dass er nicht Parteivorsitzender bleiben könne.
Auf dem Parteitag in Kordel am vergangenen Samstag traten der seit Monaten schwelende Richtungsstreit bei den Freien Wählern sowie persönliche Zerwürfnisse unter anderem zwischen Anhängern Wefelscheids und Anhängern des mittlerweile ins Europaparlament abgewanderten früheren Fraktionschefs Joachim Streit offen zu Tage. Gleich zu Beginn wurde Wefelscheid völlig überraschend von den Delegierten nicht zum Tagungspräsidenten gewählt. Dies habe ihm gezeigt, dass man ihn durch die Hintertür zum Rückzug vom Landesvorsitz habe drängen wollen, so Wefelscheid.
In einer Erklärung zu seinem Rückzug aus dem Vorstand äußerte sich Noch-Schatzmeister Marco Degen noch deutlicher als Wefelscheid. Er sieht in dem Parteitag von Kordel den Versuch einer Verschiebung der inhaltlichen Ausrichtung der Partei hin zum rechten Rand des politischen Spektrums. Die bei dem Parteitag beschlossenen inhaltlichen Anträge, an denen an zentraler Stelle Generalsekretär Christian Zöpfchen mitgearbeitet habe, zeugten von einer «erheblichen Kursänderung» voller Stammtischparolen, außerdem würden rechtsnationale Thesen und Ressentiments bedient.
Für Aufsehen sorgte auf dem Parteitag auch eine emotionale Diskussion zur Geschlechterpolitik. In einem später zur weiteren Beratung verwiesenen Antrag wurde das Selbstbestimmungsgesetz abgelehnt, mit dem transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen in Deutschland anmelden können, dass sie Geschlechtseintrag und Vornamen ändern möchten. Bislang waren dafür eine Gerichtsentscheidung und Sachverständigengutachten nötig. In der ursprünglichen Version eines weiteren Antrags wurde gefordert, an öffentlichen Gebäude nicht mehr die Regenbogenflagge zu hissen.
Degen äußerte sich darüber hinaus zu Kritik an Wefelscheids Führungsstil. Diese sei nicht konkretisiert worden. Wefelscheid habe das Parteiwohl stets über alles andere gestellt. Er sehe keine konstruktive Kritik, sondern «gekränkte Eitelkeit», formulierte Degen in einer von ihm verlesenen Erklärung. Es gehe um Neid und den Versuch, liberale Kräfte aus der Partei zu drängen. Degen sprach sich für einen Parteitag für alle Mitglieder aus.
Auch Wefelscheid sagte: «Die Mitglieder sollen entscheiden, wohin die Reise geht.» Die Basis solle eine Chance bekommen, sich selbst ein Bild zu machen. Sein Landtagsmandat will Wefelscheid wie Drumm behalten, auch in der Partei wolle er bleiben. Er würde nicht so weit wie Degen gehen und von einer Annäherung an rechte Positionen in der Partei sprechen, sagte Wefelscheid. Er sehe einen mittlerweile sehr konservativen Flügel. Er finde es unglücklich, wie Bundeschef Aiwanger sich bisweilen äußere. «Man muss meiner Meinung nach in der Politik deeskalieren.» Es dürften nicht überall Feindbilder aufgebaut werden.
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