Gut einen Monat vor der US-Präsidentschaftswahl trafen sich am Dienstagabend Fachleute in der Universität Heidelberg, um über die bevorstehende Wahl und ihre potenziellen Auswirkungen auf die Welt zu diskutieren. Die Veranstaltung, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und der F.A.Z. organisiert wurde, stand unter dem Motto: „Wie bereitet sich die Welt auf die neue US-Administration vor?“. Wie Norbert Lammert, Vorsitzender der KAS und ehemaliger Bundestagspräsident, in seiner Eröffnungsrede betonte, sei die Aktualität des Themas unbestreitbar.
Der Ausgang der US-Wahlen bleibe spannend, so Lammert, da Umfragen ein knappes Rennen zwischen dem republikanischen Kandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump und seiner demokratischen Herausforderin, Vizepräsidentin Kamala Harris, voraussagten. Unabhängig vom Wahlausgang sei jedoch klar, dass das Ergebnis erhebliche Auswirkungen auf Europa haben werde, vielleicht sogar mehr als bei früheren Wahlen. Lammert führte dies auf zwei „unangenehme“ Möglichkeiten zurück, die mit einer möglichen zweiten Trump-Administration verbunden seien: einerseits ein „dramatischer Richtungswechsel“ in der Sicherheits-, Außen- und Wirtschaftspolitik der USA oder andererseits ein Szenario, in dem es überhaupt keine vorhersehbaren Veränderungen gebe, was zu einer „Nichtkalkulierbarkeit“ der amerikanischen Politik führen würde.
Die anwesenden Experten waren sich weitgehend einig, dass ein Wahlsieg von Harris oder Trump unterschiedliche Auswirkungen auf Europa hätte. Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, vertrat jedoch eine andere Position. Er argumentierte, dass die Hinwendung zu einer stärker auf amerikanische Interessen ausgerichteten Politik ein langfristiger Trend sei, der bereits unter Präsident George W. Bush begonnen habe und unabhängig davon, wer die Wahl gewinne, anhalten werde. „Die Rhetorik wird eine andere sein, aber im Kern ist es egal, wer Präsident wird – wir müssen unsere Hausaufgaben machen“, sagte Caspary.
Caspary kritisierte, dass sich im deutschen Verteidigungsbereich kaum etwas verändert habe und ging davon aus, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der NATO weiterhin verfehlen werde. Obwohl er nicht glaube, dass die NATO selbst unter Trump zerbrechen würde, betonte er, dass sowohl Trump als auch Harris Druck auf Deutschland ausüben würden, mehr für Verteidigung auszugeben. Darüber hinaus forderte Caspary verstärkte Anstrengungen im wirtschaftlichen Bereich, „um nicht von Amerika abgehängt zu werden“. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragte er.
Melanie Vogelbach, Bereichsleiterin für Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), betonte, dass die USA unabhängig vom Wahlausgang ein wichtiger Handelspartner für Deutschland bleiben würden. Sie räumte jedoch ein, dass viele Unternehmen angesichts von Trumps Plänen zur Einführung „universeller Importzölle“ besorgt seien. Solche Zölle, die auf alle importierten Waren erhoben würden und möglicherweise 10 oder sogar 20 Prozent erreichen könnten, hätten „gravierende Auswirkungen“ auf ein exportorientiertes Land wie Deutschland. Vogelbach warnte auch vor den Folgen von Trumps Plänen, hohe Zölle auf chinesische Waren zu erheben, da dies wahrscheinlich zu Vergeltungsmaßnahmen Pekings und einer schädlichen „Zollspirale“ führen würde. Sie merkte jedoch an, dass auch unter der derzeitigen Biden-Regierung ein zunehmender wirtschaftlicher Protektionismus zu beobachten sei, der sich unter Harris wahrscheinlich fortsetzen würde. Obwohl unter einer Präsidentschaft von Harris offene Foren und Diskussionen fortgesetzt werden könnten, sei ein umfassender Durchbruch, wie etwa ein neues Freihandelsabkommen, unwahrscheinlich.
Denis Suarsana, Leiter des KAS-Auslandsbüros Indonesien/Timor-Leste, wies darauf hin, dass auch südostasiatische Länder über Trumps Zollpläne besorgt seien. Er nannte Vietnam als Beispiel für ein Land, das stark vom Handel mit den USA abhängig ist und für das Trumps Wirtschaftspolitik „existenzielle Fragen“ aufwerfen könnte. Ähnliches gelte für die Philippinen, die sich im Südchinesischen Meer in einem „sich zuspitzenden Konflikt“ mit China befinden. Suarsana argumentierte, dass die Hinwendung Amerikas zu den Philippinen es dem Land ermöglicht habe, „China gegenüber deutlich selbstbewusster aufzutreten“, eine Politik, die unter Trump möglicherweise nicht fortgesetzt würde. Im Gegensatz dazu würde Harris in der Region als „Präsidentin der Kontinuität“ wahrgenommen, was die Hoffnung nährt, dass sie Amerikas Engagement in Südostasien fortsetzen würde.
Auch für die Ukraine werden existenzielle Ängste geäußert, sollte Trump die Wahl gewinnen. Der ehemalige Präsident hat wiederholt erklärt, er werde den Krieg mit Russland innerhalb von 24 Stunden beenden. Auf die Frage, wie er dies erreichen wolle, sagte Nikolas Busse, Außenpolitikchef der F.A.Z.: „Ich glaube, das weiß nicht mal Trump.“ Er bezeichnete dies als „typisches Dahergerede, wie man es von ihm und anderen Politikern kennt“.
Busse argumentierte, dass die Vorstellung, Trump könne sowohl Russland als auch die Ukraine unter Druck setzen und sie so an den Verhandlungstisch zwingen, unrealistisch sei. Der russische Präsident Wladimir Putin verfolge weiterhin seine Kriegsziele, darunter die Annexion von vier ukrainischen Gebieten, und vertraue auf die noch immer beträchtlichen Ressourcen Russlands. Obwohl die westlichen Sanktionen Russland schadeten, würden ihre Auswirkungen erst langfristig spürbar sein. Andererseits bleibe die Ukraine entschlossen, sich zu verteidigen. Angesichts von Trumps Vorliebe für schnelle Erfolge argumentierte Busse: „Wenn sich das nicht ergibt, verliert er schnell das Interesse.“
Berthold Kohler, Herausgeber der F.A.Z., lobte zum Abschluss der Debatte das Publikum für seine aktive Teilnahme. „Mir wäre weniger bange um Deutschland und Europa, wenn Sie der Bundestag wären“, sagte Kohler. Er bedauerte, dass der frühere breite Konsens darüber, dass die USA eine entscheidende Rolle für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in Europa spielten und daher gute Beziehungen zu Washington unerlässlich seien, heute nicht mehr selbstverständlich sei.
Kohler sah in diesem Punkt den größten Unterschied zwischen Trump und Harris, der über ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten hinausgehe. Er argumentierte, dass Politiker „moralische Personen“ sein sollten, und räumte ein, dass zwar jeder Mensch Schwächen habe, es aber ein grundlegendes Verständnis von Anstand und Moral brauche. „Und das sehe ich bei Trump in keiner Weise“, sagte Kohler unter dem Beifall des Publikums. Obwohl auch unter Harris keine Rückkehr zu den „guten alten Zeiten“ zu erwarten sei, so Kohler, unterstrich er doch den Kontrast zwischen den beiden Kandidaten in Bezug auf ihren Charakter und ihre moralische Integrität.
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