1.10.2024
Die komplexe Welt des Alfred Herrhausen und die Deutsche Bank

Im Jahr 2020, anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Deutschen Bank, veröffentlichte der Propyläen-Verlag eine beeindruckende neunhundertseitige Chronik mit dem Titel „Die globale Hausbank“. Dieses Werk zeichnet die Geschichte der Bank seit 1870 nach und beleuchtet dabei insbesondere die strategischen Debatten, die Alfred Herrhausen als damaliger Vorstandssprecher prägte. Herrhausen stand für eine Gratwanderung zwischen globaler Bedeutung und traditionellem Kundengeschäft. Die historische Darstellung im Propyläen-Verlag analysiert diese Thematik kritisch, verzichtet jedoch auf eine verklärende Heldenverehrung oder die Schaffung eines „Mythos Alfred Herrhausen“.

Ähnlich distanziert nähert sich auch Gabriela Sperls Fernsehproduktion „Herrhausen – Herr des Geldes“ dem Thema. Die Miniserie, die im Ersten ausgestrahlt wird, bietet einen fesselnden Einblick in die deutsche Geschichte und die globale Weltlage am Ende des Kalten Krieges. Sperl gelingt es dabei, mögliche Tendenzen zur Glorifizierung Herrhausens durch die vielschichtigen globalen Zusammenhänge immer wieder zu relativieren. „Herrhausen – Herr des Geldes“ ist fiktionales Fernsehen auf höchstem Niveau: intelligent inszeniert, faktengetreu und mit Bedacht in der Wahl der erzählerischen Mittel. Gabriela Sperl, bekannt für ihre herausragenden Produktionen zu zeithistorischen Themen, hat in der Miniserie sogar einen kurzen Auftritt als selbstbewusste Verhandlungspartnerin der Investmentbank Morgan Grenfell, die einen Vorstandsposten bei der Deutschen Bank anstrebt.

„Herrhausen – Herr des Geldes“ ist ein absolutes Muss, nicht nur für diejenigen, die schon immer einen Blick hinter die Kulissen der Deutschen Bank werfen wollten. Die Miniserie fesselt durch ihre spannende Erzählweise und wirft gleichzeitig Fragen auf, die bis heute unbeantwortet sind: Wer steckte wirklich hinter dem Bombenanschlag auf Herrhausen und seine Begleiter auf dem Seedammweg in Bad Homburg? War es die RAF, waren es Geheimdienste oder wirtschaftliche Konkurrenten? Bis heute ist der Mord an Alfred Herrhausen nicht aufgeklärt.

Die Fernsehproduktion beleuchtet die Begleitumstände der Tat, die damalige Weltlage – Stichwort: Schuldenerlass für die „Dritte Welt“, Gorbatschow, Glasnost und Perestroika, die Ängste der NATO-Partner und schließlich der Fall der Mauer – sowie die politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik. Darüber hinaus werden die internen Auseinandersetzungen innerhalb der Deutschen Bank thematisiert, insbesondere hinsichtlich der Zentralisierung und Digitalisierung. Der Anschlag selbst und die unmittelbaren Folgen bilden den dramaturgischen Höhepunkt der Miniserie.

Das Drehbuch von Thomas Wendrich, das diese komplexe Materie meisterhaft in Szene setzt, wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die Regie von Pia Stratmann sorgt trotz der vielschichtigen Handlung für Klarheit, während die Kameraführung von Florian Emmerich gekonnt die verschiedenen Ebenen der Geschichte einfängt und so zum Verständnis beiträgt. Sowohl das Szenenbild (Lutz Krammer), der Schnitt (Anja Siemens) als auch alle anderen Gewerke überzeugen durch ihren durchdachten Einsatz.

Im Gegensatz zu Dokudramen wie „Rohwedder“ auf Netflix, ist „Herrhausen“ keine reine Dokumentation und auch kein detailliertes True-Crime-Format. Abgesehen von einigen Originalaufnahmen aus Nachrichtensendungen, erzählen die einzelnen Folgen die Geschichte im Modus der faktenbasierten Fiktion („Nach einer wahren Geschichte. Soweit Geschichte wahr sein kann“). Dabei werden die Persönlichkeitsrechte der dargestellten Personen und die Sensibilität der Ereignisse stets gewahrt. Traudl Herrhausen, die Ehefrau von Alfred Herrhausen, wird von Julia Koschitz als liebevolle Partnerin dargestellt, ohne jedoch ihr Privatleben zu sehr auszuleuchten. „Schlüssellochblicke“ bleiben dem Zuschauer verwehrt. Diese diskrete Herangehensweise an das Privatleben der Protagonisten lässt die Darstellung der anderen Handlungsstränge umso wirkungsvoller erscheinen.

Die Miniserie zeichnet das Berufsporträt eines außergewöhnlichen Bankers, der auf zahlreiche Widerstände stieß. Oliver Masucci verkörpert den damaligen Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, auf meisterhafte Weise und verdeutlicht dessen Streben nach Macht und Gestaltungswillen. Die Doppelspitze an der Spitze der Bank ist Herrhausen ein Dorn im Auge. Vorstandssitzungen werden in der Serie zu spannenden Thrillern. Dieser Herrhausen, der auch im Umgang mit dem eigenen Körper rücksichtslos und ungeduldig wirkt, wird von Albträumen geprägt, die Bedrohungen und einen möglichen Untergang erahnen lassen. Kurz vor seinem Tod lässt sein Assistent Wasner (David Schütter) sogar Maß am Vorstandssessel nehmen und trägt fortan den gleichen Anzug und die gleiche Krawatte wie sein Chef.

Die Serie zeigt die Dynamik in Frankfurt am Main im Gegensatz zum Stillstand in Beirut. RAF-Terroristen diskutieren verschiedene Entführungs- und Anschlagsszenarien, es kommt zu Streitigkeiten. Fast alle Seiten sehen in Herrhausens Kurs eine Gefahr. Kredite für Moskau? Sowohl die Amerikaner als auch die DDR sind alarmiert. Bankerkollegen fürchten das hohe Tempo der Veränderungen und eine mögliche Dominanz des Investmentbankings (die Geschichte, Stichwort Lehman Brothers, sollte ihnen später Recht geben). CIA, Stasi, der sowjetische Geheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz – sie alle mischen mit. Herrhausen selbst schwankt zwischen Idealismus (Schuldenerlass) und ökologischem Bewusstsein, zeigt sich aber auch ungeduldig im Umgang mit seinem Freund Helmut Kohl (den Sascha Nathan als eher bauernschlauen Taktiker mit alleinigem Interesse an Deutschland und Europa darstellt). Hilmar Kopper (Shenja Lacher) scheint Herrhausen zwar zu unterstützen, verfolgt aber auch eigene Interessen.

Immer wieder geht es in der Serie um die Sicherheitsvorkehrungen für Spitzenbanker und -politiker Ende der 1980er-Jahre. Mehrfach wird gezeigt, wie Herrhausen seinem Sicherheitspersonal entwischt. Die Zuschauer werden Zeugen davon, wie Anschläge vereitelt werden oder schiefgehen. Bis zu jenem Tag kurz nach dem Fall der Mauer, an dem das Attentat auf Alfred Herrhausen gelingt. Auch in der Serie wird das Verbrechen nicht aufgeklärt, dennoch erlaubt sich „Herrhausen“ einige plausible Spekulationen. Mehr kann man von einer solchen Produktion nicht verlangen.

„Herrhausen – Herr des Geldes“, ist in der ARD-Mediathek als vierteilige Serie verfügbar. Quelle: F.A.Z.

Wie die „Borkener Zeitung“ berichtet, ist die Serie ein Politthriller mit Oliver Masucci in der Hauptrolle. Masucci, bekannt aus Produktionen wie „Dark“ und „Er ist wieder da“, übernimmt die Rolle des Deutsche-Bank-Chefs. Die Serie wurde an verschiedenen Schauplätzen gedreht, darunter auch in Bad Homburg, wo sich der reale Anschlag ereignete.

Der SWR berichtet, dass die Serie bereits vor ihrer Ausstrahlung einen Preis für das beste Drehbuch beim internationalen Serienfestival in Lille gewonnen hat. Das Drehbuch stammt von Thomas Wendrich, der „Herrhausen“ nicht nur als biografisches Werk verstanden wissen will, sondern als eine Serie über die Hintergründe des Mauerfalls.

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