Ein ungewöhnliches Duell um die Schach-WM beginnt am Montag in Singapur: Zum ersten Mal seit 138 Jahren kämpfen zwei Nicht-Europäer um den Titel. Der chinesische Titelverteidiger Ding Liren, aktuell auf Platz 22 der Weltrangliste, trifft auf den 18-jährigen Inder Dommaraju Gukesh, die Nummer fünf der Welt. Gukesh gilt als Favorit, obwohl Ding Liren bereits seit zehn Jahren zur Weltspitze gehört. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet, ist das Interesse an der WM in der Schachwelt eher mäßig, in Indien hingegen riesig. Delhi und Chennai hatten sich sogar um die Ausrichtung beworben, doch der Hauptsponsor Google Asia entschied sich für Singapur. Das Preisgeld beträgt 2,5 Millionen US-Dollar, wovon gut eine Million an den Weltschachbund FIDE gehen soll.
Ding Lirens Formkurve zeigt seit seinem WM-Sieg gegen Ian Nepomniachtchi im Frühjahr 2023 steil nach unten. Er konnte seitdem keine einzige klassische Partie mehr gewinnen. Wie der Spiegel berichtet, leidet Liren unter Schlafstörungen und Depressionen. In Interviews sprach er offen über seine psychischen Probleme und die Trennung von seiner Freundin. Ex-Weltmeister Magnus Carlsen äußerte sogar die Befürchtung, Ding Liren könnte „dauerhaft gebrochen“ sein. Der Chinese selbst sieht sich als Außenseiter und befürchtet eine hohe Niederlage, wie die Sportschau berichtet.
Gukesh hingegen strotzt vor Selbstbewusstsein. „Ich bin super aufgeregt und bin sicher, dass ich nervös sein werde, aber ich weiß, dass ich jede nervliche Situation meistern kann“, wird er von der FAZ zitiert. Er konzentriert sich darauf, in jeder Partie seine beste Leistung abzurufen und die besten Züge zu spielen. Gukesh gewann im April das Kandidatenturnier in Toronto und führte Indien im September mit einem herausragenden Ergebnis zum Sieg bei der Schacholympiade. Er bereitet sich seit Monaten intensiv auf das WM-Match vor, trainiert mit einem Sportarzt und praktiziert Yoga und Meditation. Wie die NZZ berichtet, arbeitet er zudem mit einem Mentalcoach zusammen und liest Biografien erfolgreicher Sportler wie Novak Djokovic.
Gukeshs kometenhafter Aufstieg ist eng mit dem Schachboom in Indien verbunden. Wie die Süddeutsche Zeitung in einem Interview mit dem ehemaligen Weltmeister Viswanathan Anand berichtet, hat Indien in den letzten Jahren massiv in die Schachförderung investiert. Anand selbst gründete eine erfolgreiche Akademie, aus der auch Gukesh hervorgegangen ist. Junge Talente erhalten in Indien staatliche Unterstützung und werden von Unternehmen gefördert. So konnte sich Gukeshs Familie Geld leihen, um seine Karriere zu finanzieren. Sein Vater, ein Arzt, gab seinen Beruf auf, um ihn zu begleiten, wie die FAZ berichtet.
Die Schach-WM in Singapur wird maximal 14 Partien umfassen. Für einen Sieg gibt es einen Punkt, für ein Remis einen halben. Wer zuerst 7,5 Punkte erreicht, gewinnt den Titel und den Großteil des Preisgeldes. Wie die Sportschau berichtet, wird das Match live auf dem YouTube-Kanal der FIDE übertragen. Magnus Carlsen, der seinen Titel 2023 freiwillig abgegeben hatte, wird nicht an der klassischen WM teilnehmen, sondern in Singapur beim "Freestyle Chess Summit" antreten, wie die NZZ berichtet. Er hat mit einem deutschen Unternehmer ein Unternehmen gegründet und will den Freestyle Chess, eine neue Variante des Schachspiels, populär machen.
Der Tagesspiegel weist darauf hin, dass Gukesh im klassischen Schach noch nie gegen Ding Liren gewonnen hat. Trotzdem gilt der junge Inder als klarer Favorit. Sollte er gewinnen, wäre er mit 18 Jahren der jüngste Schachweltmeister aller Zeiten. Die WM in Singapur ist ein Zeichen für den Aufstieg Asiens im Schachsport, wie Chessbase berichtet. Die Eröffnungszeremonie fand im prunkvollen Capitol Theatre in Singapur statt, bei der Gukesh die weißen Steine für die erste Partie zugelost wurden.